Personalisierte Tumorbehandlung ist teuer. Das gilt beispielsweise für individuelle Krebs-Therapien auf Basis von genmodifizierten T-Zellen. Sie werden derzeit manuell oder maximal teilautomatisiert hergestellt. Im Rahmen des Projekts „ProCell for Patient“ entwickeln nun zwei Kliniken zusammen mit Optima Pharma eine automatisierte Einheit für die dezentrale Produktion in Behandlungszentren. Diese soll den Zeit- und Kostenaufwand deutlich reduzieren.
Über 430.000 Menschen erhalten jährlich die Diagnose Leukämie. Weitere 500.000 erkranken an Non-Hodgkin- Lymphomen [1] . Darunter sind Formen, bei denen Chemotherapie und Stammzellspende versagen. „Rund ein Viertel dieser vortherapierten Patienten können von CAR-T-Zellen profitieren“, sagt Prof. Dr. med. Michael Schmitt, der als Koryphäe für zelluläre Immuntherapie gilt. Er leitet die GMP Core Facility am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD). Dort werden T-Zellen gentechnisch verändert. „Wir modifizieren die Zellen so, dass sie anschließend als sogenannte Killerzellen Krebszellen angreifen können“, erläutert Prof. Schmitt. Die Zellen erhalten dazu ein „Greifärmchen“, durch das sie die Krebszellen erkennen können. Dabei handelt es sich um einen sogenannten chimären Antigenrezeptor (chimeric antigen receptor, CAR). Die genetische Information für den CAR wird mithilfe viraler Gentransfervektoren ex vivo (außerhalb des Körpers) auf die T-Zellen des Patienten übertragen. Die CAR-T-Zellen erhält der Patient zurück. In ihm vermehren sie sich weiter und bekämpfen die Krebszellen.
Weltweit wurden seit 2017 bereits fünf CAR-T-Zellprodukte zugelassen: Kymriah (Novartis), Yescarta und Tecartus (Kite/Gilead) sowie erst letztlich Breyanzi (BMS) und Abecma (bluebird bio & BMS). Rund 1.220 weitere Zell- und Gentherapien befinden sich in der klinischen Pipeline. Mehrere tausend Patienten könnten jährlich von dieser Behandlung profitieren. Doch die aufwendige industrielle Herstellung der CAR-T-Zellen läuft derzeit weltweit an wenigen Standorten der Pharmaindustrie oder bei sogenannten CDMOs (Contract Development and Manufacturing Organisations, Vertragshersteller und -entwickler) ab. Die damit verbundene Logistik und die größtenteils manuelle Herstellung in Reinräumen der Klasse B oder A verursachen hohe Kosten. Inzwischen besitzen bereits viele Universitätsklinika das Know-how in der Herstellung von CAR-T Zelltherapeutika, allerdings sind hier die Herstellprozesse aus der Forschung abgeleitet und daher sehr individuell und manuell. Eine standardisierte und automatisierte Herstellung an diesen Klinika würde zu einer deutlichen Verbesserung der Patientenversorgung führen. Prof. Schmitts GMP-Labor hält seit September 2018 eine Herstellungserlaubnis für CAR-T-Zellen. Sein Team kennt den manuellen Herstellprozess, aber auch sämtliche damit verbundene Regularien, Aufwände und Kosten im Detail. Kommerzielle CAR-T-Zell-Produkte kosten rund 300.000 Euro. Riesige Kosten, deren Reduktion von Versorgungsträgern dringend gefordert wird. Denn bei steigenden Patientenzahlen wäre das Gesundheitssystem andernfalls wohl schnell überfordert. Die dezentrale automatisierte Herstellung von CAR-T-Zellen kann hier einen wichtigen Beitrag zur Kostendämpfung leisten.
Es verwundert nicht, dass das UKHD der Wunschpartner für die strategische Partnerschaft des
Robert-Bosch-Krankenhauses
(RBK), Stuttgart, und des Technologie- und Systemanbieters Optima Pharma war, als diese über die Entwicklung einer automatisierten Produktionseinheit für CAR-T-Zellprodukte nachdachten. Optima Pharma hatte bereits im Rahmen eines Vorgängerprojekts mit der Charité Berlin erste Schritte in Richtung einer geeigneten Produktionsplattform getan.
Die Automatisierung der CAR-T-Zelltherapeutika-Produktion ist längst überfällig. Nicht nur aus Kosten- und Qualitätsgründen. Sie wird künftig den Innovationsprozess erleichtern.“
Das RBK bzw. seine Forschungseinheit, die Robert Bosch Gesellschaft für medizinische Forschung, hat die Leitung des Projekts übernommen. Prof. Dr. Walter E. Aulitzky, Chefarzt der Abteilung Onkologie, Hämatologie und Palliativmedizin am RBK, ist begeistert von den Möglichkeiten der CAR-T-Zelltherapie. Doch wenn er an die bisherigen Wege zur Herstellung denkt, wird er leidenschaftlich: „Bei einem derartig komplexen Prozess mit Hunderten von Schritten kann es doch eigentlich nicht sein, dass MTAs im Vier-Augen-Prinzip Töpfchen füllen. Die Automatisierung ist längst überfällig. Nicht nur aus Kostengründen. Es ist auch ein Qualitätsfaktor. Außerdem wird sie künftig den Innovationsprozess fördern. Denn Kliniken, die dezentral an der Herstellung beteiligt sind, können auch an der Optimierung oder Entwicklung neuer Zelltherapien mitwirken.“
In GMP-Räumlichkeiten am RBK sollte die erste, prototypische vollautomatische Anlage zur CAR-T-Zelltherapeutika-Produktion mit Technik von Optima Pharma entstehen. Was noch fehlte, war die spezielle Kompetenz zur Herstellung von CAR-T-Zellprodukten. „Uns war schnell klar, dass wir das Universitätsklinikum Heidelberg als professionellen Hersteller und Prof. Schmitt als sachkundige Person, die den Prozess aus dem Effeff kennt, gewinnen mussten“, erinnert sich Prof. Aulitzky. Dies fiel nicht schwer, denn auch Prof. Schmitt rechnet mit deutlichen Verbesserungen durch die Automatisierung: „Der Arbeitsaufwand wird sich wohl um mindestens 50 Prozent reduzieren lassen. Ein automatisierter Prozess kann zudem auch außerhalb der Regelarbeitszeit laufen.“
Im Oktober 2020 startete das Projekt „ProCell for Patient“, gefördert durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg im Rahmen der Initiative Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg *. Von Seiten Optima Pharma wird es von Dr. Andrea Traube, die den Bereich Market Development mit Schwerpunkt Systemlösungen für Zell- und Gentherapeutika bei Optima Pharma leitet, begleitet. „Die ersten Schritte, die detaillierte Prozessanalyse des CAR-T-Prozesses in Heidelberg und die Erstellung der User Requirement Specification (URS), sind gemeistert“, sagt Dr. Traube. Ihre Kompetenz bei der Automatisierung von Zellkulturprozessen soll laut Prof. Aulitzky sicherstellen, „dass wir den händischen Prozess nicht nur 1:1 abbilden, sondern auch mögliche Prozessanpassungen durchführen, um die vollen Potenziale der Automatisierung zur Optimierung des Herstellprozesses zu nutzen.“ Hier habe Optima eine einzigartige Kompetenz.
Der Prozess umfasst sechs Hauptschritte: Zellselektion, Zellaktivierung, genetische Modifikation zu CAR-T-Zellen, Zellvermehrung, Zellernte und Formulierung sowie Fill & Finish. Dank der Isolatortechnik von Optima soll die Anlage nicht – wie im Heidelberger GMP-Labor – in der höchsten Reinraumklasse stehen, sondern in Reinräumen der Klasse C oder D. Erste Hürden wurden bereits bei der URS-Erstellung genommen. Prof. Schmitt erinnert sich: „Es erforderte für uns ein neues Denken, den händischen Prozess in das Format der Kybernetik zu übersetzen.“ Bestimmte Prozessschritte erwiesen sich dabei als besonders herausfordernd: etwa das Einschleusen von biologischem Material. Denn die Isolatortechnik erfordert eine Begasung durch Wasserstoffperoxid, das jedoch schädlich für das ungeschützte Zellmaterial sein kann.
*Mit Unterstützung der Landesregierung Baden-Württemberg entwickeln Akteure aus der Gesundheitswirtschaft Maßnahmen, die das Land als Gesundheitsstandort auf ein höchstmögliches Niveau bringen sollen.
Das Stuttgart-Heidelberger ProCell-for-Patient-Modell sieht vor, dass wesentliche Schritte (blau) der Herstellung von Zelltherapeutika vollautomatisch in einem Isolator ablaufen. Der Prototyp wird im Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart installiert.
Nun sind Optima und RBK in der Pflicht. Während die Experten bei Optima Pharma die Entwicklung der Funktionsmodule angehen, beschäftigt sich das RBK mit dem Betriebskonzept und der Erarbeitung eines Konzepts für eine klinische Studie, in deren Rahmen die Anlage ihre Eignung für die dezentrale CAR-T-Zellproduktion unter Beweis stellen soll.
Im zweiten Quartal 2021 wurde damit begonnen, erste Funktionsmodule aufzubauen und zu testen. So wird frühzeitig sichergestellt, dass die lebenden Zellen nicht geschädigt werden, etwa durch zu große Scherkräfte. Der Testbetrieb am RBK wird im Sommer 2022 starten. Auch dann werden die UKHD-Experten noch eine wichtige Rolle spielen, um bei jeder kleinsten Abweichung geeignete Anpassungen vorzunehmen. Am Ende soll schließlich ein sicheres Produkt stehen, das der Patient als Infusion erhält.
Der Arbeitsaufwand, also die Stundenzahl, die qualifiziertes Personal heute mit der Herstellung von CAR-T-Zellen beschäftigt ist, wird sich mit Hilfe der ProCell-for-Patient-Anlage wohl um mindestens 50 Prozent reduzieren lassen.
Arbeitet das ProCell-for-Patient-Modell erfolgreich, ist beabsichtigt, den Prototypen in ein marktfähiges Produkt zu überführen. Dr. Andrea Traube erläutert: „Die Anlage kann künftig nicht nur in weiteren Tumor-Behandlungszentren, sondern auch in der Pharmaindustrie zum Einsatz kommen.“ Dank des modularen Aufbaus rechnen die Projektpartner damit, dass die Produktionsplattform zur Herstellung weiterer Zell- und Gentherapeutika genutzt werden kann. Diese bergen großes Potenzial. Bis 2025 rechnen die EU- und US-Zulassungsbehörden mit zehn bis 20 neuen Produkten pro Jahr.
So könnten langfristig zahlreiche Kliniken und ihre Patienten vom Projekt Procell for Patient profitieren. Allen voran das RBK. Prof. Aulitzky rechnet mit drei bis sechs Monaten nach Ablauf des Projekts, um die Herstellerlaubnis zu erlangen. Von dieser würde auch die Uniklinik Heidelberg partizipieren, die zunächst vom RBK mitversorgt würde. Mittelfristig will Prof. Schmitt jedoch zu den ersten für einen Rollout der Technologie gehören: „Wir möchten mehrere robotisierte Produktionsisolatoren in einer Werkhalle aufstellen.“ Weitere Kliniken sind ebenfalls interessiert. So wird der Standort Baden-Württemberg von einer Technologieführerschaft bei der dezentralen Produktion von personalisierten Zell- und Gentherapeutika profitieren und dazu beitragen, die Akzeptanz bei Gesundheitsträgern und Aufsichtsbehörden zu gewinnen. Patienten würden somit künftig schneller mit einer Therapie versorgt werden, die ihnen auch dann eine erfolgreiche Behandlung verspricht, wenn alle anderen Möglichkeiten versagt haben.