Manchmal ist es weit von der Theorie bis zur Umsetzung. Nicht so bei CSPE, das Optima Pharma 2018 vorgestellt hat. Das Verfahren verkürzt Liefer- und Inbetriebnahmezeiten komplexer Turnkey-Anlagen deutlich. Etliche Projekte profitieren bereits davon.
Die Halle ist groß. Hoch und hell und sehr viel luftiger als übliche Montagehallen bietet sie Einiges an Platz – und mehr. Bei der offiziellen Einweihung im Juni 2019 wurde sie CSPE-Center „getauft“, denn mit „Inbetriebnahme-Halle“ ist nur unzureichend beschrieben, was in ihr steckt. Ins Auge fallen die beiden riesigen Hallenkrane mit 30 m Spannweite. Unauffälliger sind die Medienrinnen, die den Hallenboden regelmäßig durchziehen und unabdingbar für die Bestimmung der Halle sind. Sie versorgen die entstehenden Pharmalinien während Inbetriebnahme, Pre-Zyklusentwicklung und integriertem FAT (iFAT) mit Prozesswärme und -kälte sowie mit vollentsalztem Wasser und Druckluft. Nur ein Drittel der 3.500 m² Hallenfläche sind in den ersten Sommertagen 2019 belegt. Die ersten Turnkey-Anlagen, die mit einem erfolgreichen iFAT eingeweiht wurden, sind bereits unterwegs zum Kunden.
Die neue Halle ist der sichtbare Beweis, dass CSPE – Comprehensive Scientific Process Engineering – kein Lippenbekenntnis ist. Optima hat einen zweistelligen Millionenbetrag in das Bauwerk investiert. Gerhard Breu, Chairman der Optima Pharma Division, sagt stolz: „Jetzt sind auch die infrastrukturellen Voraussetzungen gegeben. Die ersten Linien, die nach dem CSPE-Konzept geplant, erstellt und ausgeliefert wurden, beweisen: Es greift.“ Denn die Linieninbetriebnahme samt integriertem FAT für Abfüllanlagen, Beladungseinheiten und Isolator, die im CSPE-Center ablaufen kann, ist nur ein Aspekt von CSPE.
Von der Konzeptphase an bis zur Auslieferung und Schulung nutzt Optima Pharma vielfältige Möglichkeiten wie Digital Engineering, Simulation und Virtual Reality. Das Ziel: Es gilt, die Zeit von der Kundenanfrage bis zum Produktionsstart so konzentriert und fehlerfrei wie möglich zu gestalten und Zeiträubern die Stirn zu bieten. (Weitere Informationen zum Thema CSPE finden Sie hier: Weitere Infos).
„Unsere umfassend technisch-wissenschaftliche Herangehensweise wird in der Branche des Pharmaanlagenbaus neue Standards setzen“, betont Breu. Anlagen entstehen nach dem CSPE-Verfahren nicht nur schneller, was bei neuentwickelten Arzneimitteln die Time-to-Market verkürzt. CSPE minimiert auch die Risiken, die mit großen Anlagenbauprojekten verbunden sind. Schon vor dem Designstart setzt das Verfahren hier an – mit einer gründlichen Analyse. Denn nur wer etwaige Risiken anhand der Erfahrungswerte aus vergleichbaren früheren Projekten identifiziert, kann ihnen proaktiv begegnen.
Risikominimierung aus dem Blickwinkel des Kunden bedeutet auch: Optima Pharma überprüft die Gesamtanlage in einer realen Testsituation vor der Auslieferung. Die branchenweit einmalige Möglichkeit, alle Bestandteile einer Turnkey-Anlage beim Hersteller zusammenzuführen, sie unter nahezu realen Bedingungen in Betrieb zu setzen und eine Pre-Zyklusentwicklung vorzunehmen, verkürzt die endgültige Inbetriebnahmephase am Standort des Kunden deutlich. Dazu werden Isolatoren von OPTIMA pharma containment GmbH in Radolfzell an den Standort Schwäbisch Hall transportiert.
Inan Koyuncular ist Process Owner für den gesamten CSPE-Ablauf. Als Teamleiter koordiniert er die Inbetriebnahme. Bei diversen Projekten hat er in den vergangenen Jahren miterlebt, wie es ohne integrierten FAT läuft, wenn also die separat vorgetesteten Anlagenteile erst beim Kunden zusammengeführt werden. „Es konnte dabei einiges passieren, was uns ausgebremst hat“, erinnert sich Koyuncular: „Das fing damit an, dass teilweise die Stromversorgung beim Kunden instabil war. Anlagenspezialisten benötigten daher für Schnittstellenkommunikationstests, die sie normalerweise an einem Tag erledigen, mehrere Tage. Und selbst, wenn alles reibungslos lief, waren Experten von Optima bei Anlageninbetriebnahmen, beispielsweise in Nordamerika oder Asien, mehrere Tage oder sogar Wochen in Detailfragen eingebunden. Sie fehlten dann aber für andere Projekte über längere Zeit komplett in Schwäbisch Hall.“
Heute weiß Koyuncular, wie sich diese und ähnliche Bremser im komplexen Prozess von der Planung zum Betrieb einer Anlage vermeiden lassen. Bis ins Detail hat er die verschiedenen CSPE-Phasen – von der Konzeption über Mock-up-Bau und Design, Grundinbetriebnahme des Isolators sowie Aufbau und Inbetriebnahme der kompletten Linie bis hin zu Pre-Zyklusentwicklung und iFAT aufgeschlüsselt; nahezu jeder Tätigkeitsschritt ist festgehalten. Dank dieser intensiven Tests meistern Turnkey-Anlagen anschließend beim Anwender die Phase bis zum Media-Fill deutlich schneller als bisher.
„Die Herausforderung ist, dass einige unserer Teams, die bislang mehr oder weniger unabhängig voneinander agiert haben, innerhalb des CSPE-Konzepts Hand in Hand arbeiten müssen“, führt Koyuncular aus. Das erfordere Disziplin und schränke gewisse Freiheiten ein. Künftig ist nicht nur definiert, wer was zu tun hat, sondern auch exakt in welchem Zeitraum. Er als Process Owner behält den Überblick und sorgt dafür, dass alle Beteiligten den Plan einhalten. Unnötiger Leerlauf soll ebenso vermieden werden wie ungünstige Überschneidungen bestimmter Tätigkeiten.
Diverse Turnkey-Projekte stecken zurzeit in einem der CSPE-Schritte. Auch wenn sie bereits vor Verabschiedung des neuen Optima Standards anliefen – sie profitieren zumindest in den letzten Phasen noch von den Vorteilen wie dem eines integrierten FAT. Methoden wie Digital Engineering und Simulation kommen ohnehin seit langer Zeit bei allen Optima Projekten zur Anwendung, sodass auch bei diesen Projekten der wertvolle Input in der Linieninbetriebnahme genutzt werden kann.
Andere Projekte durchlaufen den Prozess von Anfang an. Etwa eines im Auftrag von LEO Pharma, einem auf Dermatologie und Thrombose spezialisierten Unternehmen mit fünf Produktionsstätten. Am Standort Vernouillet Cedex in Frankreich investiert das Unternehmen zurzeit in die Produktion von Heparin-basierten Arzneimitteln und entschied sich für eine Turnkey-Anlage von Optima Pharma. „Schritt für Schritt konnten wir dem Kunden schon in der Angebotsphase erläutern, was ihn im Rahmen von CSPE erwartet und welche Vorteile daraus resultieren“, erläutert Koyuncular. Schnell realisierte LEO Pharma, welche Prozesskompetenz dahintersteht und auf welcher Basis sich der Zeitraum, der normalerweise von der Anlieferung der Anlage bis zum Produktionsstart vergeht, verkürzt.
Schon in der Konzeptionsphase sind rund 50 Aufgaben definiert. Sie reichen von der Basisauslegung des Isolators mit Details wie Frischluftansaugung über die Optimierung des Linienlayouts mit Berücksichtigung von Zugänglichkeiten etc. bis hin zu Vorversuchen, etwa das Stopfensetzen betreffend. Erste Strömungs- und OEE-Simulationen unterstützen bereits in dieser frühen Phase die enge Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Kunden.
Mit dem folgenden Mock-up wird die gesamte Anlage inklusive Isolator erstmals konkret, wenn auch nur als Modell. Jede Positionierung von Handschuhen, Türen, Environmental Monitoring System (EMS) etc. wirkt sich später auf die Isolator-Beladung und damit auf den VHP-Zyklus aus. Auch hier profitieren Kunden wie LEO Pharma von der durchgängig systematischen Herangehensweise, die Zeitverluste minimiert.
Inzwischen hat die Turnkey-Anlage von LEO Pharma bereits die Engineering-Phase durchlaufen. Der Auftraggeber erkennt anhand Koyunculars Aufschlüsselung: Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Beispielsweise zeigen detaillierte Strömungssimulationen oder Festigkeitsberechnungen Schwachstellen auf, lange bevor der erste Mechaniker den Schraubenschlüssel auspackt. Optimiert wird die Anlage in allererster Linie in dieser Phase: von der Konstruktion durch die 3D-Daten basierte Berechnungen und Simulationen vom Simulationsteam. Notfalls gibt es auch eine zweite und dritte Simulations- und Überarbeitungsschleife. „Bei Leo Pharma war das nicht nötig. Das technische Engineering hatte von vorneherein ganze Arbeit geleistet“, weiß Koyuncular. Tatsächlich seien aber Erkenntnisse, die die Simulation bei ähnlichen früheren Anlagen ergeben hatte, eingeflossen. Koyuncular ergänzt: „Das passiert bei unserer Herangehensweise immer wieder: Das technische Engineering und das Simulationsteam profitieren vom Feedback aus dem iFAT. Unsere Modelle werden dadurch immer genauer und zuverlässiger.“ So konnten bei diesem Projekt die P&ID-Planung und das Schnittstellenkonzept rasch finalisiert werden. Unkompliziert verlief auch die Abstimmung des Sicherheitskonzepts zwischen Optima und M+P; hier macht es sich bereits bezahlt, dass alle Anlagenteile aus einer Hand kommen.
Sämtliche Teile der neuen Linie für Leo Pharma wurden inzwischen errichtet. Nachdem die Basis-Inbetriebnahme des Isolators bei M+P in Radolfzell absolviert wurde, legte das Inbetriebnahme-Team den Transport und die „Hochzeit“ mit den weiteren Linienbestandteilen wie Beutelauspacker, Tyvek removal robot sowie Spritzenfüll- und Verschließmaschine für Ende September 2019 fest, natürlich im CSPE-Center in Schwäbisch Hall. Fast wie in der späteren Produktion wurde die Linie an Medien wie Reinstwasser angeschlossen. Einzelne Schnittstellenprobleme zwischen den einzelnen Maschinen konnten schnell gelöst werden. Denn in Schwäbisch Hall waren die nötigen Experten ohne Zeitverlust verfügbar.
Bei der Inbetriebnahme zahlt sich der umfassende Ansatz der neuen Methode ein weiteres Mal aus: Die Qualität der Grundeinstellungen für die Maschinen sind nicht mehr abhängig vom Erfahrungsschatz der Techniker. Vielmehr liefert das Digital Engineering in Verbindung mit Simulationen die Basiswerte mit hoher Treffsicherheit. Das anschließende Feintuning und die Pre-Zyklusentwicklung verlaufen deutlich schneller als früher. Der Generalbevollmächtigte von Optima Pharma kommentiert: „Darin liegt ein wesentlicher Paradigmenwechsel. Zumal die Modelle durch den Rückfluss der Erfahrungen immer genauer werden. Auch spätere Modifikationen an bereits ausgelieferten Anlagen können durch Simulation unterstützt werden. Wir switchen von einem erfahrungsbasierten Modell auf ein integrales, datenbasiertes Modell, das deterministisch und nicht mehr zufallsgesteuert zu kontinuierlichen Verbesserungen führt“, erläutert Breu.
Nach der Auslieferung an LEO Pharma wird die Anlage, anders als bei Optima, im Reinraum stehen. „Aus den anderen Umgebungsbedingungen resultiert in der Regel durchaus noch ein gewisser Aufwand in der Requalifizierung“, weiß Koyuncular, „doch der fiel in den bereits abgeschlossenen Projekten geringer als üblich aus. Vieles, was bei uns qualifiziert wurde, kann einfach samt Dokumentation übernommen werden.“ So sparen die Kunden nicht nur weitere wertvolle Zeit bis zum Produktionsstart, sondern auch Manpower. Wer bislang beispielsweise teure Freelancer für die Requalifizierung einsetzen musste, kann diese wichtige Aufgabe nun durch eigene Mitarbeiter betreuen lassen – und so auch das gewonnene Wissen im Haus halten.
Die Kunden haben den Mehrwert erkannt. CSPE wird ein Erfolgsmodell – und dazu eines, das sich nicht so leicht kopieren lässt.
Künftig soll jedes Turnkey-Projekt von Optima Pharma vom CSPE-Verfahren inklusive iFAT profitieren. Die neue Halle ist exklusiv dafür reserviert. „Wir haben unseren Kunden gut zugehört“, sagt Gerhard Breu und erläutert: „Die Erfordernisse einer minimalen Time-to-Market sowie der Trend zu immer flexibleren und damit komplexeren Anlagen hat uns dazu animiert, unser Process Engineering umfassend auf technisch-wissenschaftliche Basis zu stellen. Eben CSPE, Comprehensive Scientific Process Engineering.“ Und es funktioniert. Breu bekommt derzeit viel positives Feedback. „Die Kunden haben den Mehrwert erkannt. CSPE wird ein Erfolgsmodell – und dazu eines, das sich nicht so leicht kopieren lässt.“